25.05.2021
Geschlechtergerechte Sprache,
Teil 2: Wie andere Sprachen gendern – und was das für Übersetzungen bedeutet
Eine gendergerechte Sprache, die möglichst alle Geschlechter adressiert, beendet stereotype Rollenbilder und ist ein Beitrag zur Gesellschafts- und Bewusstseinsbildung. Im ersten Teil unseres dreiteiligen Beitrags haben wir eingeordnet, worauf es unseres Erachtens ankommt und weshalb wir selbst gendern. Im zweiten Teil führen wir nun aus, wie es sich mit dem Gendern in anderen Ländern, Sprachen und kulturellen Kontexten verhält – und was deshalb bei Übersetzungen zu beachten ist.
Andere Länder, anderes Gender
Es gibt Sprachen, in denen weder Substantive noch Pronomen geschlechtsspezifisch sind. In diesen Sprachen wird also kein sprachlicher Unterschied etwa zwischen einer Ärztin und einem Arzt gemacht, ebensowenig wie in puncto „er/sie/es” differenziert wird. Zu dieser Sprachgruppe gehören beispielsweise Estnisch, Finnisch, Türkisch oder Ungarisch, aber auch einige asiatische Sprachen. Ein Satz wie „er/sie/es liebt ihn/sie/es” könnte in diesen Sprachen alle denkbaren Ausprägungen annehmen, ohne dass dies sprachlich wirklich ausgedrückt wird. Wer wen liebt, ist in vielen Sprachen also unerheblich. (In einigen deutschen Dialekten, zum Beispiel beim allumfassenden „ett” im Kölschen, übrigens auch.)
In anderen Sprachen gibt es zwar geschlechtsspezifische Pronomen, also zum Beispiel „er/sie/es”, aber kaum bis keine Unterscheidungen bei der Verwendung von Substantiven. Im Englischen kann „friend” oder „driver” beispielsweise männlich, weiblich oder divers sein, würde im Bedarfsfall aber durch ein Pronomen genauer spezifiziert: „as the driver of the vehicle, he was fully responsible for the accident”. Im Englischen werden daher oft beide Formen oder ein umfassendes „they” verwendet, um gendergerecht zu formulieren: „as the driver of the vehicle, he or she must make sure that…”.
Dass sich die Gendern-Debatte deshalb aber im Englischen nicht erübrigt, zeigt ein aktueller Beschluss des kanadischen Joint Terminology Panels, das die Bezeichnung „unmanned vehicle” für ein Fahrzeug ohne Besatzung als nicht-gendergerecht identifiziert hat und künftig die Verwendung von „uncrewed” vorschreibt.
Die Debatte beginnt, wenn es geschlechtsspezifisch wird
Viele andere Sprachen und Sprachfamilien, darunter die romanischen Sprachen, sind geschlechtsspezifisch. Ob „Student und Studentin” auf Deutsch, „conducteur et conductrice” auf Französisch oder „leitor e leitora” auf Portugiesisch: Aus vielen Bezeichnungen, die sich direkt auf den Menschen beziehen, liest man in diesen Sprachen das Geschlecht direkt heraus. Das Ausmaß, in welchem die Gendern-Diskussion geführt wird, ist dabei ebenso breit wie die konkrete sprachliche Umsetzung.
In Frankreich wird häufig ein Binnenpunkt verwendet, zum Beispiel bei „étudiant·e·s” (oder auch „étudiant.e.s”) für „Schüler:innen”, um alle Formen einzuschließen. Das dortige Bildungsministerium hat im Mai 2021 allerdings festgelegt, dass eine genderneutrale Schriftsprache an französischen Schulen verboten ist. Das Argument dafür deckt sich mit einer Empfehlung der Académie Française aus dem Jahr 2017, die die gendergerechte Sprache als schwer lesbar und unverständlich und damit lernerschwerend bezeichnete.
Kreativ in der Umsetzung zeigt sich Spanien, wo mit den Genderzeichen -@ (steht für das männliche O und das weibliche A), -e und -x gleich drei Möglichkeiten der schriftlichen Umsetzung bestehen. Ein Satz wie „todos los niños” – alle Kinder im generischen Maskulinum, da weibliche Kinder „niñas” wären – könnte also durch „tod@s l@s niñ@s”, „todes les niñes” oder „todxs lxs niñxs” gendergerecht ausgedrückt werden.
Ähnlich wie in Frankreich empfiehlt die Institution zur Pflege der spanischen Sprache, die Real Academia, aber weiterhin die Verwendung des generischen Maskulinums oder die Verwendung allgemeingültiger Wörter wie „la niñez”, wobei „die Kindheit” synonym für „die Kinder” benutzt wird.
Ein Grund dafür mag sein, dass es im Spanischen etwas komplizierter als im Deutschen ist, gendergerecht zu schreiben, da auch die Adjektive einen klaren Geschlechtsbezug haben („todos/todas”) und entsprechend gegendert werden müssen.
Die Empfehlung zu allgemein gültigen Formulierungen gilt ebenso im Niederländischen, wo zum Beispiel die Bahn seit Jahren nicht mehr alle „dames en heren” (Damen und Herren) begrüßt, sondern alle „reizigers” (Reisende). Insgesamt gibt es viele Substantive im Niederländischen, in denen das Geschlecht nicht sprachlich gekennzeichnet wird oder für die es keine weibliche Form gibt. So gilt beispielsweise „burgemeester” für Bürgermeister und Bürgermeisterinnen gleichermaßen.
In anderen Sprachen gibt es teilweise künstlich geschaffene weibliche Berufsbezeichnungen, die sich in der Alltagssprache aber kaum durchsetzen, oder immer wieder den Rückgriff auf die Dopplung, also die Nennung der männlichen und weiblichen Form hintereinander. Ein Beispiel ist „prezados leitores e prezadas leitoras” („sehr geehrte Leser und sehr geehrte Leserinnen”) in brasilianischen Zeitschriften. Ob in diesen Fällen die männliche oder die weibliche Form zuerst genannt wird, ist ebenfalls sehr länderabhängig.
Interessant wird es, wenn sich auch in Verben schon das Geschlecht der Angesprochenen klar widerspiegelt: Im Polnischen beispielsweise würde sich allein aufgrund der Verbform ein Satz wie „Danke, dass Sie sich für unser Produkt entschieden haben!” explizit entweder an Männer oder an Frauen richten. Im Alltag wird dies oft umgangen, indem etwa „Danke für die Entscheidung für unser Produkt” verwendet wird.
Übersetzungsstatus: Es ist kompliziert, aber es geht
Das Thema Gendern, das in Deutschland kontrovers diskutiert und gehandhabt wird, führt auch in vielen anderen Ländern und Sprachen zu Diskussionen und zu einer vielfältigen Umsetzung. Was muss also für die Übersetzung berücksichtigt werden?
Unternehmen, die sich im Deutschen bewusst für das Gendern entschieden haben, sollten diese Entscheidung im Rahmen der Corporate Communication auch für weitere Sprachen prüfen. Dabei müssen das Gendern-Verhalten des Ziellandes und die möglichen sprachlichen Umsetzungen ebenso berücksichtigt werden wie die jeweilige Textsorte bzw. das angesprochene Zielpublikum.
Während beispielsweise in vielen Sprachen die technische Dokumentation weiterhin eher allgemein oder generisch maskulin formuliert ist – auch um möglichst kurz und verständlich zu formulieren –, wird in Marketingmaterial, Werbeanzeigen und touristischen Texten mittlerweile viel Wert auf eine gendergerechte Ansprache aller Lesenden gelegt.
In die Entscheidung, ob und in welcher Form in einer Zielsprache oder für einen Zielmarkt gegendert wird, sollten auch die betroffenen Auslandsniederlassungen einbezogen werden. Denn niemand kennt den Markt so gut wie sie und letztlich ist die Entscheidung für oder gegen das Gendern eine Unternehmensentscheidung bzw. Teil einer Kommunikationsstrategie, die für jede Sprache individuell betrachtet werden muss.
Dies „von oben” zu oktroyieren, nur weil eine entsprechende Entscheidung im Deutschen gefallen ist, wäre ebenso unangemessen wie das Thema für die Fremdsprachen außer Acht zu lassen.
Falls es für den entsprechenden Zielmarkt keine Niederlassungen gibt, sind Unternehmen gut beraten, sich eng mit Übersetzer:innen und Dienstleister:innen abzustimmen, die die landesspezifischen Gegebenheiten ebenfalls kennen und einschätzen können.
Bis dato gibt es in allen Ländern allerdings nur wenige oder noch keine offiziellen Vorgaben oder Festlegungen. Das Thema wird sich in den nächsten Jahren also sicherlich in allen Geschäftssprachen noch stark entwickeln und somit auch bei Übersetzungen weiter in den Fokus rücken. Es ist wichtig und bleibt spannend.
Wie übrigens die maschinelle Übersetzung (Machine Translation, MT) mit dem Thema Gendern umgeht, wie die verschiedenen Umsetzungen wie Sternchen, Binnenpunkte und das spanische @-Zeichen maschinell erkannt werden und warum das Gendern bei der MT auch tiefliegende Stereotypen aufdeckt, lesen Sie in unserem abschließenden dritten Teil: „Gendern in der maschinellen Übersetzung – wie das funktioniert und worauf zu achten ist”.
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