03.07.2023
„Das darf man ja wohl noch sagen!“ Vier wichtige Bereiche diskriminierungsfreier Sprache – Teil 2
Unsere vier Sprachexpertinnen Nicole Sixdorf, Karin Klein, Sara Cantaro und Sylvia Schumacher haben im Rahmen der „Internationalen Wochen gegen Rassismus“ der Initiative „Landkreis Böblingen bleibt bunt e. V.“ den Vortrag „Das darf man ja wohl noch sagen!“ gehalten. Darin haben sie verschiedene Arten diskriminierender Sprache beleuchtet und Tipps für eine diskriminierungsfreie Sprache gegeben. Die wichtigsten Punkte haben wir in einer zweiteiligen Blogreihe zusammengefasst. Hier ist Teil 2.
Sprache soll verbinden, nicht trennen
Aus Überzeugung und Leidenschaft arbeiten wir bei oneword jeden Tag daran, Menschen weltweit mit und durch Sprache zu verbinden. Auch, indem wir mögliche sprachliche Missverständnisse und Stolperfallen bei der internationalen Kommunikation aus dem Weg räumen und dafür sorgen, dass jedes Wort an der richtigen Stelle steht. Dabei möchten wir auch für Sprache sensibilisieren. Denn diskriminierende Sprache kann uns überall begegnen und wird im Alltag oftmals kaum wahrgenommen. Im ersten Teil unserer zweiteiligen Blogreihe haben wir in diesem Zusammenhang zunächst ableistische und sexistische Sprache betrachtet, ihre Hintergründe beleuchtet und Tipps gegeben, um Barrieren abzubauen. Im zweiten Teil wollen wir uns der rassistischen und antisemitischen Sprache widmen. Wie begegnen sie uns im Sprachalltag? Was sind ihre Ursachen? Und was können wir alle aktiv für eine diskriminierungsfreie Sprache tun?
Rassistische Sprache
Rassismus und rassistische Sprache sind ein komplexes und nicht minder facettenreiches Thema, das den gesamten Globus umspannt. Sie ziehen sich durch alle Dimensionen des Alltags, der Gesellschaft und unserer Sprache. Nicht selten sind es einfache Wörter und vermeintlich harmlose Fragen, mit denen man Interesse bekunden möchte, die ungewollt zu einer Ausgrenzung beitragen. Doch der Reihe nach.
Was ist eigentlich Rassismus? Die Bundeszentrale für politische Bildung definiert Rassismus als die Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe, Herkunft, ihres Namens und ihrer Sprache. In Deutschland betrifft dies in erster Linie Menschen, die von der weißen Mehrheitsgesellschaft meist aufgrund äußerlicher Merkmale als „nicht deutsch“ angesehen und damit ausgegrenzt und abgewertet werden. Dabei geht es immer um das Beurteilen und das Abwerten einer vermeintlich homogenen Gruppe – die es so gar nicht gibt.
Rassismus beginnt somit auch in dem Moment, in dem einem Individuum die Individualität abgesprochen und die Person einer Gruppe zugeordnet wird, die nicht dem gewohnten eigenen Schema entspricht. Dieses Phänomen nennt man Othering. Der Begriff leitet sich vom englischen Wort „other“ („anders“) ab und drückt quasi ein „Anders-Machen“ bzw. „Fremd-Machen“ aus. Dabei werden Menschen nach äußerlichen und/oder kulturellen Merkmalen als unterschiedliche Gruppen angesehen und – bewusst oder unbewusst – in die positiv konnotierte sogenannte Wir-Gruppe und die negativ konnotierte Gruppe „der Anderen“ eingeteilt.
Im Deutschen trägt beispielsweise der Begriff „Fremde“, in dem eine „Andersartigkeit“ mitschwingt, zu einer solchen sprachlichen Abgrenzung bei, zum Beispiel bei Verwendung des Begriffs Fremdenfeindlichkeit. Er wird oft genutzt, weil in Deutschland ungern von „Rassismus“ gesprochen wird. Doch auch hier findet die Abgrenzung zwischen der Mehrheitsgesellschaft – dem Wir – und den „Anderen“ statt, die als „Fremde“ deklariert werden. Der Begriff Fremdenfeindlichkeit impliziert somit, dass Deutsche mit einer anderen Hautfarbe und Abstammung immer Fremde sein müssen und keine „richtigen“ Deutschen sein können. Man macht sie damit sprachlich (gewollt oder ungewollt) zu Fremden im eigenen Land.
Begriffe wie „farbig“ und „dunkelhäutig“ geistern in diesem Zusammenhang noch immer in der Alltagssprache für die Bezeichnung nicht-weißer Menschen umher und werden teils unkritisch verwendet. Beide Begriffe entstammen allerdings der deutschen Kolonialzeit und sind negativ konnotiert. Sie werden von PoC (People of Color) daher abgelehnt. Sowohl PoC, BPoC (Black and People of Color) als auch BIPoC (Black, Indigenous, and People of Color) sind hingegen aus dem Englischen entlehnte positive Selbstbezeichnungen von Personen mit Rassismus-Erfahrung. Dies umfasst auch die deutschen Begriffe Schwarze bzw. Schwarze Menschen. Der Begriff Ausländer:in ist zwar für Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit korrekt, als Synonym für Einwander:innen jedoch nicht, da diese in vielen Fällen deutsche Staatsbürger:innen sind.
Ein kleiner Überblick über häufig verwendete diskriminierende Begriffe für Menschen mit anderer Hautfarbe und/oder Abstammung (Quelle: oneword GmbH)
Othering spiegelt sich auch – zumeist unbewusst – in harmlosen Fragen wider, wie beispielsweise in der nach der Herkunft des Gegenübers, der oder die eine andere Hautfarbe hat. Genauso verhält es sich mit dem Lob für gute Deutschkenntnisse. Impliziert wird mit diesen Aussagen immer der Zusatz der Fremdartigkeit von Menschen mit anderer Abstammung und/oder Hautfarbe, die grundsätzlich nicht als dazugehörig bzw. deutsch angesehen werden.
Begriffe, Phrasen und Fragen, die Ausgrenzung erzeugen (Quelle: oneword GmbH)
Aussagen wie „Ich sehe keine Hautfarbe“ quasi als deutsches Pendant zum englischen „All lives matter“ tragen diesen Gedanken fort. Beide mögen (zumeist) gut gemeint sein, um auszusagen, dass man niemanden anhand seiner Hautfarbe einordnen oder gar abwerten möchte, im Grunde machen sie jedoch Rassismus und die Strukturen, die dahinterstecken, unsichtbar. Doch um Strukturen zu ändern und zu einer Gesellschaft zu finden, in der Hautfarbe und Herkunft tatsächlich keine Rolle mehr spielen, muss über eben jene Strukturen offen gesprochen und den Menschen Gehör geschenkt werden, die von ihnen negativ betroffen sind. Mehr noch müssen wir uns im Klaren sein, dass nicht alle Menschen gleich sein müssen, um gleichberechtigt miteinander zu leben. Es geht nicht um Gleichheit, sondern um eine gesellschaftspolitische Zugehörigkeit, die sich eben auch über die Sprache ausdrückt.
In Deutschland werden in der öffentlichen Debatte die Begriffe Rechtsradikalismus und Rassismus häufig synonym verwendet. Eine Abwehrhaltung ist dann vorprogrammiert, wenn es darum geht, eigene Rassismusanteile in der Sprache wahrzunehmen und zu reflektieren. Dabei sind wir alle unweigerlich rassistisch sozialisiert worden – durch Spielzeug, durch Filme oder durch Bücher, die rassistische Bilder reproduzieren und noch immer bestimmte Begriffe nutzen, die historisch belastet sind und zu einer Ausgrenzung beitragen.
Wenn wir Rassismus also ernst nehmen wollen, dann heißt das, bei uns selbst anzufangen und dabei auf unsere Sprache zu schauen. Nicht minder wichtig ist, den Menschen, die von Rassismus betroffen sind, zuzuhören und ihnen Glauben zu schenken, wenn sie erzählen, was sie im Alltag erleben. Wenn wir die Gesellschaft und den Umgang miteinander ändern möchten, können wir mit unserer Sprache beginnen, denn sie leistet einen großen Beitrag dazu.
Wenn Sie sich über diese Zusammenfassung hinaus informieren und mehr zum Thema wissen möchten, empfehlen sich verschiedene Bücher oder Hörbücher, z. B. „Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören möchten, aber wissen sollten“ von Alice Hasters oder „Exit Racism“ von Tupoka Ogette.
Antisemitische Sprache
Manchmal muss man einfach Tacheles reden, sonst wird man meschugge, oder? Wäre das am Ende nicht ein echter Schlamassel? Ob nun Tacheles, meschugge oder Schlamassel, wie wir feststellen, ziehen sich aus dem Jiddischen entlehnte Wörter und Redewendungen meist ganz unauffällig durch die deutsche Sprache.
Jiddisch, das ist eine fast tausend Jahre alte Sprache, die Juden und Jüdinnen in weiten Teilen Europas gesprochen haben und ihre Nachfahr:innen bis heute noch nutzen. Ein anschauliches Beispiel dafür sind die Makkabi-Spiele, die größte jüdische Sportveranstaltung Europas, die in der Kommunikation ganz bewusst mit jiddischen Begriffen spielten.
Plakate der Makkabi-Spiele 2015 (Quelle: BZ-BERLIN.de)
Wie die Motive zeigen, sind uns viele jiddische Wörter auch heute noch geläufig und ganz unbewusst in den deutschen Sprachgebrauch eingeflossen. Nicht wenige dieser eigentlich neutralen Begriffe haben dabei jedoch im Deutschen eine negative Bedeutung zugeschrieben bekommen. Ihre Verwendung stellt daher (wenn auch unbeabsichtigt) einen antisemitisch geprägten Sprachgebrauch dar, z. B., wenn wir von „schachern“ und „mauscheln“ sprechen – zwei Begriffe, die selbst in den Schlagzeilen großer und kleiner Zeitungen zu lesen sind, wenn diese vom politischen Geschacher oder den Mauscheleien von Banken berichten.
Doch was ist eigentlich Antisemitismus? Woher kommt er, in welchen Ausprägungen zeigt er sich und wie tritt er in unserer Gesellschaft zu Tage? Das ist ein Thema von enormer Größenordnung. (Prof. Werner Bergmann vom Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin hat grundlegende Antworten dazu verfasst; eine verständliche Kurzform gibt es auch vom Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung.)
Zusammengefasst basiert Antisemitismus auf der pseudowissenschaftlichen Rassenlehre des späten 18. Jahrhunderts. Mit dem Begriff „Semitismus“ wurde versucht, die „semitischen Völker“ und ihren „Geist“ im Unterschied zu dem der Indogermanen oder „Arier“ zu erfassen und abzuwerten. Neu war dabei die Entkopplung des Jüdischen von der eigentlichen Religion und die Zuordnung bzw. Ab- und Ausgrenzung als „Rasse“.
Eine prägnante Definition dazu liefert die International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA): „Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als [Abneigung, Feindschaft und] Hass gegenüber Juden ausdrücken kann.“ (Mehr hier.)
Hinsichtlich der eingangs erwähnten Begriffe, die das Deutsche dem Jiddischen entlehnt, spiegelt sich eine solche Abneigung und Abwertung eben in der Bedeutungsverschiebung gewisser jiddischer Begriffe wider. Dabei ist nicht automatisch jeder jiddische Begriff im Deutschen problematisch. Wie Tacheles, meschugge oder Schlamassel gibt es jiddische Begriffe, die heute noch „auf Augenhöhe“ mit der gleichen Bedeutung verwendet werden, die sie auch im Jiddischen haben.
Übersicht über jiddische Begriffe, die ihre Bedeutung behalten haben (Quelle: oneword GmbH)
Im Gegensatz dazu stehen jiddische Begriffe, die eine Bedeutungsverschiebung mitgemacht haben und gleich mehrfach negativ besetzt sind. Zunächst einfach nur aufgrund der Tatsache, dass sie aus dem Jiddischen stammen, und vor allem dadurch, dass sie angebliche „jüdische Eigenschaften“ benennen, die als antisemitische Vorurteile eine lange wie schlechte Tradition haben:
Kleine Auswahl an jiddischen Begriffen, die eine negative Bedeutungsverschiebung erfahren haben. (Quelle: oneword GmbH)
Diese und ähnliche Begriffe begegnen uns heute noch sehr oft, wie etwa das Wort „mauscheln“, das sich vom Vornamen Moses (jiddisch Mosche oder Moische) ableitet und zunächst „reden wie ein Jude“ meinte, dies heutzutage aber mit der Bedeutung „betrügen“, „täuschen“ oder „unzulässige Absprachen treffen“ gleichsetzt.
Eine weitere Ausprägung antisemitischer Sprache sind bspw. Wortkombinationen oder Komposita mit „Jude-“ oder „Juden-“, die im deutschen Sprachgebrauch mit einer negativen Konnotation belegt sind, z. B. Judenmusik, Judenschule oder auch Judenfriedhof. Ebenfalls vermeidbar sind eingedeutschte Begriffe, die zum Beispiel jüdische Feste wie Sabbat (statt Shabbat), Passah (statt Pessach) oder Hanuka (statt Chanukka) bezeichnen. Sie implizieren eine deutschsprachige Deutungshoheit und verwehren eine Weltoffenheit. Zudem ist ihre Verwendung nicht nötig, denn im Deutschen kommen wir phonetisch ohne Probleme mit den jüdischen Bezeichnungen klar. Anders als dies etwa im Englischen der Fall ist, wo zum besseren Verständnis aus Pessach „Passover“ wurde, weil es im hebräischen Ursprung „vorüberschreiten“ bedeutet.
Wie schon beim vorhergehenden Abschnitt zur rassistischen Sprache (siehe: Fremdenfeindlichkeit) trägt auch die Verwendung falscher Synonyme zu einer antisemitischen Sprache bei. So sollte beispielsweise „semitisch“ nicht für „jüdisch“ verwendet werden, da es der zuvor beschriebenen pseudowissenschaftlichen Rassenlehre entstammt. Ähnlich verhält es sich mit „israelitisch“, welches im 19. Jahrhundert der jüdische Versuch war, das negativ behaftete Wort „jüdisch“ durch ein unverbrauchtes Wort zu ersetzen, was jedoch misslang. Dies gilt auch für den Begriff „mosaisch“, der ebenfalls dem 19. Jahrhundert entstammt und aus christlicher Perspektive versuchte, eine analoge Bezeichnung zu „Christus – christlich“ zu finden. Geprägt ist das Wort daher durch eine Angleichung des Judentums an die „eigene“ christliche Religion. Es zeugt keineswegs von Respekt vor Juden und Jüdinnen oder einem eigenständigen Judentum.
Und auch Vokabular des deutschen Antisemitismus aus der Zeit der Nationalsozialisten hält sich zu Teilen noch immer in der deutschen Sprache. Noch vor einiger Zeit war im offiziellen deutschen Sprachgebrauch von der „Reichskristallnacht“ für die staatlich organisierten, reichsweiten Gewaltmaßnahmen gegen Juden und Jüdinnen, jüdische Geschäfte und Synagogen vom 9. November 1938 die Rede. Hierbei handelt sich um einen Euphemismus – eine Beschönigung – der Nationalsozialisten selbst, der das massenhaft zerschmetterte Glas der Wohn- und Gotteshäuser und Geschäfte verherrlichte. Heute wird daher vorrangig an die „Novemberpogrome“ oder „Pogromnacht“ erinnert.
Warum diskriminierungsfreie Sprache?
Ableistische, sexistische, rassistische und antisemitische Sprache: nach dem wir uns in unser zweiteiligen Blogreihe eingehend mit diesen vier Vertretern diskriminierender Sprache beschäftigt haben, können wir auf die Frage: „Wozu eine diskriminierungsfreie Sprache?“ mit Sicherheit sagen: „Weil es uns alle betrifft und weil es sich lohnt.“
Eine barrierefreie, inklusive und diskriminierungsfreie Sprache trägt zu einem respektvollen und wertschätzenden Zusammenleben bei, weil sie den Austausch und die Teilhabe aller in der Gesellschaft bestärkt und ermöglicht. Denn Sprache prägt unser Denken und damit unser Handeln. Kurzum: Diskriminierungsfreie Sprache ist für alle da, damit niemand aufgrund seiner Herkunft, Hautfarbe, seines Geschlechts bzw. seiner sexuellen Identität, körperlichen und geistigen Fähigkeiten, seines Alters sowie seiner Religion oder Weltanschauung ausgegrenzt, benachteiligt oder gar unsichtbar gemacht wird.
Der erste Schritt zu einer inklusiveren und diskriminierungsfreien Sprache ist bereits damit getan, die eigenen Sprachmuster und Sprachbilder zu hinterfragen, kritisch zu prüfen und sich alltägliche Stolperfallen bewusst zu machen. Fakt ist: Die meisten von uns verfallen ganz ungewollt und unabsichtlich in diskriminierende Ausdrücke, denn vieles ist noch immer fest in unserer Alltagssprache verhaftet und damit Teil unserer Sozialisation. Gerade daher sollten wir den Versuch einer diskriminierungsfreien Sprache als eine Chance begreifen, Stereotype und Vorurteile gegenüber anderen Menschen abzubauen, um eine gleichberechtigte, faire und respektvolle Gesellschaft zu (er)leben.
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