13.07.2022
Das Beste aus zwei Welten: Wie maschinelle Übersetzung (MTPE) und IEC/IEEE 82079-1 zusammenpassen
Die Doku-Norm IEC/IEEE 82079-1 definiert Anforderungen an Gebrauchsanleitungen, zur Minderung oder Versprachlichung von Risiken bei der Benutzung von Produkten. Dies gilt auch für übersetzte Anleitungen, weshalb Übersetzungsprozessen, vor allem beim Einsatz von maschineller Übersetzung (MÜ), eine entscheidende Rolle zukommt. Wir erläutern, wie beide Welten miteinander vereinbar sind, und geben Tipps, worauf beim Einsatz von MÜ im Rahmen der Doku-Norm zu achten ist.
Immer kürzere Bereitstellungszeiten für Nutzungsinformationen in immer mehr Sprachen fordern in der technischen Dokumentation pragmatische und flexible Lösungen. Die maschinelle Übersetzung mit anschließendem Posteditieren (MTPE) hilft, Nutzerinformationen schnell und gleichzeitig kostengünstig in die jeweiligen Zielsprachen übertragen zu lassen. Doch kann MTPE den strengen Anforderungen von IEC/IEEE 82079-1 an die Erstellung von Nutzerinformationen gerecht werden? Wenn ja, wann ist der Einsatz maschineller Übersetzung im Rahmen von IEC/IEEE 82079-1 erlaubt? Und wie navigiert man beide Welten – MTPE und IEC/IEEE 82079-1 –, um Nutzer:innen qualitativ hochwertige Übersetzungen technischer Dokumentation bereitzustellen?
Eva-Maria Tillmann, Fachleiterin für das Qualitätsmanagement bei oneword, stellvertretende Obfrau des DIN-Unterausschusses für Übersetzungsdienstleistungen und aktives Mitglied im DIN-Arbeitsausschuss „Übersetzungsgerechtes Schreiben“, hat in einem Vortrag auf der Quanos Connect ausgeführt, wie die maschinelle Übersetzung mit IEC/IEEE 82079-1 vereinbar ist, worauf man dabei achten sollte und welche hilfreichen Tipps sie aus der Praxis geben kann.
Genormte Übersetzungsprozesse …
Es gibt zwei relevante Normen, die Anforderungen an Übersetzungsdienstleistungen beschreiben: DIN EN ISO 17100 und DIN ISO 18587. 2015 erschien zunächst ISO 17100 in ihrer aktuellen Fassung, die Prozesse mit dem Zweck beschreibt, eine qualitativ hochwertige humane Übersetzungsdienstleistung bereitzustellen – unter explizitem Ausschluss von MTPE. Während die 2019 veröffentlichte Norm IEC/IEEE 82079-1 wahrscheinlich bereits weitgehend fertig und im Freigabeprozess war, wurde 2017 DIN ISO 18587 veröffentlicht. Diese Norm beschreibt Anforderungen an das Posteditieren maschinell erstellter Übersetzungen zum Zweck, Zeit und Kosten durch den Einsatz von maschineller Übersetzung einzusparen – dabei aber ein Ergebnis zu erstellen, das sich nicht von einer humanen Übersetzung unterscheidet.
Beide Normen richten sich an Übersetzungsdienstleister aller Art und sind vereint durch die verpflichtenden Anforderungen, qualifizierte Übersetzer:innen bzw. Posteditor:innen einzusetzen, Kundenanforderungen zu erfassen und in Form von Spezifikationen zu dokumentieren, deren Einhaltung, also die Qualität, zu kontrollieren und Prozesse für effektives Rückfragen-, Feedback-, Terminologie- und Projektmanagement aufzusetzen.
Auch wenn ISO 17100 und ISO 18587 Berührungspunkte haben und sich in vielen Teilen ähnlich oder sogar gleich sind, kann man sie nicht einfach austauschen. Eine Übersetzung ist entweder human oder maschinell erstellt worden und daher entweder nach der einen oder nach der anderen Norm angefertigt – und niemals nach beiden. Dabei spielt es keine Rolle, welche weiteren Schritte zur Qualitätssicherung (z. B. Revision) nach der Übersetzung folgen.
Prozessschritte ISO 17100 und ISO 18587 im Vergleich (Quelle: oneword GmbH)
… auch im Kontext von IEC/IEEE 82079-1
Was bedeuten die Ausführungen zu ISO 17100 und ISO 18587 nun für Übersetzungen im Rahmen von IEC/IEEE 82079-1?
Wer sich mit IEC/IEEE 82079-1 befasst hat, weiß, dass die Norm zwar dazu verpflichtet, einen Übersetzungsprozess zu definieren und dann auch zu befolgen – dass es in der Norm selbst aber keinen konkreten beschriebenen Prozess für die Übersetzung von Nutzungsinformationen (Gebrauchsanleitungen) für Produkte gibt. Informativ verweist die Norm dabei zwar, durchaus zu Recht, auf den Übersetzungsprozess nach ISO 17100, aber dieser Hinweis stellt ausdrücklich keine Verpflichtung dar. Dass es keinen Verweis auf ISO 18587 gibt, liegt sicher auch an den Erscheinungszeitpunkten und daran, dass kaum ein Dienstleister in den ersten Jahren nach ISO 18587 zertifiziert war. Die Norm musste sich also erst einmal etablieren.
Fest steht: Nur weil ISO 18587 oder MTPE in IEC/IEEE 82079-1 nicht erwähnt werden, werden sie von der Norm nicht explizit ausgeschlossen. Und das sollten sie auch nicht: Nicht nur ISO 17100, auch ISO 18587 erfüllt die Anforderungen und Empfehlungen von IEC/IEEE 82079-1 oder geht sogar darüber hinaus. Umgekehrt lässt IEC/IEEE 82079-1 Übersetzungsprozesse zu, die ISO-17100-konform oder auch ISO-18587-konform sein können.
Anforderungen und Empfehlungen der Normen im Vergleich (Quelle: oneword GmbH)
Fest steht außerdem: MTPE ist im Rahmen von IEC/IEEE 82079-1 erlaubt. Wichtig zu beachten ist allerdings, dass der Einsatz von MT ohne PE, also die reine maschinelle Vorübersetzung von Inhalten weder konform zu ISO 18587 (oder ISO 17100) noch zu IEC/IEEE 82079-1 ist. Maschinell übersetzte Texte ohne professionelle Nachbearbeitung sind für Übersetzungsprozesse im Rahmen der Doku-Norm also ausgeschlossen.
Die Verwendung eines solchen maschinellen Roh-Outputs ist generell nur sehr bedingt zu empfehlen und sollte auch in anderen Anwendungsfällen nur nach sorgfältiger Risikoabwägung erfolgen. Selbst für das sogenannte Gisting, also das Zugänglichmachen wesentlicher Inhalte in einem fremdsprachigen Text, kann eine im Kontext falsche maschinelle Übersetzung z. B. zu Fehlentscheidungen der Leser:innen führen.
MTPE in der technischen Dokumentation
MTPE schafft Freiräume. Wie eingangs erwähnt, stellt es eine pragmatische Lösung dar, um mit weniger Aufwänden innerhalb kürzerer Zeit Informationen in mehr Sprachen bereitzustellen – und das in einer Qualität, die mit einer Humanübersetzung vergleichbar ist. Maßgeblich für die Entscheidung, ob human nach ISO 17100 oder mit MTPE nach ISO 18587 gearbeitet werden soll und kann, sind die individuellen Anforderungen der Auftraggeber:innen, denn sie beschreiben genau, welche Kriterien die Übersetzung erfüllen muss. Die Anforderungen sind dabei so vielfältig wie die jeweiligen Unternehmen, in denen Übersetzungen benötigt werden. Sie können von Sprachkombination, Sachgebiet und Textsorte über Risikolevel, Stil, Terminologie und Recherche-Intensität bis zum Zeit- und Budgetrahmen reichen.
Auf Basis dieser klar definierten Anforderungen können Auftraggeber:innen und Sprachdienstleister den optimalen Prozess festlegen. Die Machbarkeitsanalyse ist dabei ein wichtiges Instrument, um individuell zu prüfen, ob MTPE innerhalb der festgelegten Rahmenbedingungen überhaupt infrage kommt. Diese Prüfung der Wirtschaftlichkeit von MTPE-Projekten wird durch ISO 18587 als Anforderung beschrieben und vom Dienstleister durchgeführt.
Um die Machbarkeit von MTPE zu steigern und somit auch die Wahrscheinlichkeit, Zeit und Kosten einzusparen, können Auftraggeber:innen zusammen mit ihrem Sprachdienstleister an mehreren Stellschrauben drehen. So kann etwa der Ausgangstext gemäß DIN 8579 übersetzungsgerechter verfasst werden, die Spezifikationen optimiert, Terminologie aufgebaut oder aufgeräumt oder ggf. sogar ein eigenes MT-System trainiert werden. Gestützt wird dies durch einen durchdachten Feedbackprozess für die kontinuierliche Verbesserung der MTPE-Ergebnisse, die den Ansprüchen von IEC/IEEE 82079-1 gerecht werden können.
Benötigen Sie die professionelle Übersetzung von technischen Fachtexten, technischer Dokumentation und Kommunikation? Erwägen Sie den Einsatz maschineller Übersetzung? Dann sprechen Sie mit uns über Ihre spezifischen Anforderungen und Ziele. Unsere Expert:innen für die technische Übersetzung und MTPE beraten Sie gern zu den Maßnahmen und Möglichkeiten.
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